Fünf Tonnen Skimüll im Alpinen Museum: Neue Ausstellung

am . Veröffentlicht in Städte- und Kulturtourismus

skiernte 2


Fünf Tonnen Skimüll - so groß ist die Müllernte einer Wintersaison, die der Tiroler Fotograf Lois Hechenblaikner für die Ausstellung«Intensivstationen» im Alpinen Museum zusammengetragen hat. Kernfrage: Wieviel Tourismus die Berge?

Das Alpine Museum der Schweiz eröffnet mit Lois Hechenblaikner die Wintersaison 2012/13 und wirft vom 28. September 2012 bis 24. März 2013 einen Blick hinter die Kulissen des Massentourismus.

Hechenblaikners Bilder sind gnadenlos. Bierflaschen übersäte Skipisten zum Saisonabschluss-Event, klaffende Löcher für Kunstschnee-Speicherseen im hochalpinen Fels, Pistenschneisen im Bergwald so breit wie doppelspurige Autobahnen. Was Lois Hechenblaikners Fotografien auszeichnen, ist der Blick für die Hinterbühne. Lois Hechenblaikner zoomt heran, was Wintertouristen nicht sehen können und wohl auch nicht sehen wollen.

Er führt die Betrachter auf Baustellen, die sich im kurzen Bergsommer öffnen und im Winter unsichtbar bleiben. Er konfrontiert mit Müllbergen, die in Hinterhöfen lagern und deren Existenz Touristen kaum ahnen. Selbst der Gletscherpfad auf dem Stubaier-Gletscher, den einzelne Sommerwanderer gespenstisch begehen, wirkt im Nebel wie ein touristischer Betriebsunfall. Lois Hechenblaikners Bilder zwingen genau hinzuschauen, besonders dann, wenn wir am liebsten wegschauen möchten.

Blick des Insiders

Lois Hechenblaikner ist 1958 im Tiroler 'Blumendorf' Reith im Alpbachtal geboren, wo er heute noch mit seiner Familie lebt. Er dokumentiert die touristische Entwicklung seiner Heimat mit dem Furor des Insiders. Selber in einem Gastronomiebetrieb groß geworden, kennt er die Spielregeln der touristischen Gastfreundschaft von innen. Sein Stallgeruch öffnet ihm Türen zu verschlossenen Getränkekellern, zu geschlossenen Gesellschaften und halbfertigen Bauplätzen. «Baustellen», sagt Hechenblaikner, «sind in ihrem unfertigen Zustand 'ehrlicher' als das Endresultat. Skipisten muss man im Sommer sehen. Dann ragen die Elektrokabel noch aus dem Boden und wir sehen die Bagger, die aus Naturlandschaften Freizeitlandschaften bauen.»

Über die Jahre schuf Hechenblaikner ein Gesamtwerk, das die Folgen der massentouristischen Aufrüstung akribisch festhält. Aus Bergen wurde Restnatur. Aus Bergdestinationen Spasskulissen und Eventbühnen. Hechenblaikner nennt sie doppelsinnig «Intensivstationen».

Fotografie neu inszeniert und vermittelt

Das Alpine Museum der Schweiz zeigt mit «Intensivstationen» soviel Hechenblaikner wie in keiner Hechenblaikner-Ausstellung zuvor. «Intensivstationen» vereint über 70 Foto-,Video- und Objektarbeiten aus Hechenblaikners Schaffen der letzten zehn Jahre. Der Luzerner Szenograf Philipp Clemenz inszenierte das mehrheitlich fotografische Material jenseits des klassischen white cube in einer textilen Raumwelt und nutzte für die einzelnen Themenräume ganz unterschiedliche Bildträger. Auf Texte in der Ausstellung wurde verzichtet. Stattdessen lotst ein 'Pistenplan' die Ausstellungsbesucher in drei Sprachen durch Hechenblaikners Bergwelt.

Die bekannten orangen Aufprallschutzpolster aus Schweizer Skigebieten dienen als Ausstellungsmobiliar und schleusen ganz nebenbei erste Schweizer Facts & figures in die Ausstellung ein.

Das Alpine Museum der Schweiz zeigt mit «Intensivstationen» die zweite Eigenproduktion dieses Jahres. Das aktuelle Projekt lässt die künftige Ausrichtung als Plattform für zeitgenössische Bergthemen erkennen. Entsprechend begleitet das Museum die Ausstellung mit zahlreichen Veranstaltungen und Vermittlungsangeboten, die den aktuellen Schweiz-Bezug herstellen und kontroverse Positionen diskutieren. Die Referatsreihe ALPS-Forum gibt dem deutschen Soziologen Gerhard Schulze (Autor des Standardwerks Die Erlebnisgesellschaft), dem Schweizer Tourismusforscher Dominik Siegrist und der SECOChefin Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch das Wort. Zahlreiche Film- und Literaturveranstaltungen greifen die kulturelle Dimension des Themas auf. Der Fotograf Lois Hechenblaikner führt mehrfach öffentlich durch die Ausstellung. Für Schulen wurden stufengerechte Führungen und Workshops ausgearbeitet. Außerdem erschien rechtzeitig zur Ausstellungseröffnung Lois Hechenblaikners neues Fotobuch
Winter Wonderland (Steidl).

www.alpinesmuseum.ch
Foto: Alpines Museum

Nichts verpassen: Newsletter abonnieren