ReisepulsDeutschland 2021: Das neue Jahr und die Kunst der Management-Improvisation
Die Corona-Pandemie stellt das Tourismusmanagement in allen Segmenten der Branche vor vollkommen neue Herausforderungen. Mit den steigenden Infektionszahlen kehrten im Herbst und Winter die nur vorübergehend beherrschbar erscheinenden Unsicherheiten zurück. Das Reiseverhalten wird beeinflusst von einem ganzen Bündel ungewisser Planungsparameter. Dennoch: Aus den Anpassungen der Reisenden lassen sich bei gleichzeitig wachsender Reiselust Handlungsoptionen ableiten, nämlich aus der 2. Erhebungswelle unseres ReisePuls Deutschland.
Nachdem die Reiselust der Deutschen bereits im vergangenen Jahr infolge der Pandemie ausgebremst wurde, lässt sich nunmehr - einem anwachsenden „Druck im Kessel“ gleich - ein Anstieg dieser Reiselust feststellen. Die jüngsten Ereignisse in den Skigebieten und überlaufenden Tagesausflugszielen zeugen förmlich davon. Und ebenso unser neuer ReisePuls Deutschland 2021, erhoben kurz vor Weihnachten, repräsentativ nach Alter, Geschlecht und Bundesländern in Deutschland.
Diese Reiselust trifft jedoch auf einen nahezu vollständig „abgeschalteten“ Markt, in dem sich weder Angebot noch Nachfrage entfalten können.
Darauf reagieren die Reisenden jedoch nicht etwa mit Resignation, sondern taktischen Verhaltensänderungen, die sich in verschiedenen Corona-Reisetypen niederschlagen. Diese konnten wir auch schon im ersten ReisePuls nachweisen. Es sind: die Furchtlosen, die Abwägenden, die Geduldigen und die Unentschiedenen. Der Impfstoff hat allerdings dazu geführt, dass die Zahl der Geduldigen, die erst mit Vorliegen eines solchen wieder reisen wollen, zugenommen hat (hier der Vergleich aus Mai 2020).
Alle Typen zeigen ein teils signifikant unterschiedliches Reiseverhalten und spiegeln letztlich auch unterschiedliche psychologische Herangehensweisen an die Krise wider. Im Kern resultiert die größte Unsicherheit aus der unbekannten Dauer der Krise, die durch das Virus selbst, durch die Exekutive im Kampf gegen das Virus, aber auch das Verhalten jedes Einzelnen mitbestimmt wird. Dies ist kaum beeinflussbar, was eine große Improvisationskunst im Tourismusmanagement erfordert.
Wann und wohin wollen die Deutschen reisen?
Bezogen auf die Saisonzeiten offenbart sich: Den Winter hat die große Mehrheit der Reisenden abgeschrieben. Allenfalls unter den „Furchtlosen“ ist hier noch spontan Nachfrage zu generieren, wenn Reisen denn überhaupt wieder erlaubt sein wird. Je nach aktueller Infektionssituation ist jedoch im Frühjahr mit einer Belebung und im Sommer möglicherweise sogar mit einer Nachfrageexplosion zu rechnen, die auch Probleme und vielerorts erneut einen Corona-Overtourism hervorrufen kann.
Die Erfahrungen der letzten Wochen zeigen übrigens: Selbst die abschreckendsten Besucherlenkungsmaßnahmen, egal ob digital oder analog, nicht einmal Betretungsverbote halten die Gäste ab. Eine echte Lösung ist aus unserer Sicht nur durch ein langfristiges Erlebnisraummanagement möglich, wozu wir schon in Kürze ein neues Seminar/Webinar anbieten werden.
Deutschland als Reiseziel verliert etwas an Bedeutung im Vergleich zur ersten Erhebungswelle im Mai (Abb. s. unten, hier der Vergleich). Eine Ausnahme scheint Bayern zu sein, für das wir ein deutlich erhöhtes Interesse nachweisen können. Dennoch rechnen offenbar wieder mehr Reisende mit einer Normalisierung auch für Auslandsreisen infolge des neuen Impfstoffes. Eine Rückkehr zu alten Reisemustern ist damit nicht ausgeschlossen. Das zeigen auch die bevorzugten Reiseziele, in denen Spanien und Italien sowie Griechenland an die Spitze rücken und Österreich deutlich verliert.
Klassische Reiseentscheidungsmuster werden überlagert
Klar ist: Die Unsicherheiten und auch die Sorgen der Reisenden hebeln die klassischen erlebnis-, destinations-, preis- oder anreizorientierten Reiseentscheidungen aus: Der Schutz vor Ansteckung und damit erhöhte Sicherheitsansprüche überlagern die bekannten Muster. Klar ist aber auch: Die bekannten Muster sind nicht komplett zerstört und verloren, sondern „schimmern“ hindurch und erfahren eine neue Gewichtung. Insgesamt 20 Faktoren mit möglichen Einfluss auf die Reiseentscheidung haben wir dazu untersucht und teils Erstaunliches zutage gefördert.
Etwa im Hinblick auf die Nachhaltigkeit und den Klimaschutz. Es sind ernüchternde Erkenntnisse. Entgegen der allgemeinen Erwartung einer künftig nachhaltigeren Reisenachfrage, spielt diese bei der großen Mehrheit der Reisenden derzeit eine untergeordnete Rolle. Dies wiegt innerhalb des ReisePuls umso schwerer, als wir durch spezielle Erhebungsmethoden Verzerrungen durch die „soziale Erwünschtheit“ von Antworten minimiert haben und somit ein reales Bild der Faktoren zeichnen können.
Keineswegs enthebt dies jedoch die Branche davon, künftig die Nachhaltigkeit deutlich stärker in den Fokus zu stellen. Hier muss ein stärkerer Impuls aus der Branche selbst kommen, statt nur auf die Nachfrage zu reagieren, da ansonsten die Grundlagen des Tourismus mittelfristig zerstört werden.
Was die Deutschen jetzt erleben wollen
Naturerlebnisse waren und bleiben den Deutschen in Pandemie-Zeiten besonders wichtig, auch der geliebte Strandurlaub, letztlich eine spezielle Variante der „Naturnähe“. Im Vergleich zur ersten Erhebungswelle zeigt sich jedoch, dass Kulturerlebnisse und vor allem auch Gesundheitserlebnisse wieder deutlich an Bedeutung gewinnen. Ob daraus, ebenso wie für den gebeutelten Städtetourismus, gleich eine Belebung folgt, ist wiederum abhängig von den jeweils aktuellen Pandemie-Beschränkungen. In diesen Segmenten muss besonders agil reagiert werden.
Auffällig ist, dass sich die Erlebnis-Erwartungen an eine Kurzreise nicht elementar von denen an eine längere Urlaubsreise unterscheiden. Zwar spielen bei Kurzreisen Stranderlebnisse und auch Aktiverlebnisse/Bewegung/Sport eine etwas weniger wichtige Rolle, die anderen unterscheiden sich jedoch deutlich weniger stark voneinander. Unterschiedliche Aktivitäten vor Ort sind demnach auch vom lokalen und regionalen Kontext abhängig. Auch zwischen Deutschlandreisenden und Auslandsreisenden sind die Erlebnis-Erwartungen nicht substanziell verschieden. In Detailauswertungen zeigen sich jedoch spezifische Erlebnismuster der Reisenden, die sich etwa nach Alter, aber auch anderen Merkmalen wie den Corona-Typen oder Erlebnistypen (also z.B. Wandertouristen, Radtouristen, Kreuzfahrttouristen, Kulturtouristen etc.) stark unterscheiden können.
Wird Gästekommunikation zur „Raketenwissenschaft“?
Gästekommunikation und auch der Vertrieb werden komplexer. Dieser Prozess hat bereits lange vor der Corona-Krise eingesetzt, wird jedoch jetzt durch die externen Einflüsse, Beschränkungen und Unwägbarkeiten noch einmal intensiviert. Ressourcen müssen wesentlich schneller und flexibler aktivierbar sein, um den richtigen Kanal zur richtigen Phase der Reise für die richtige Zielgruppe zu treffen.
Die Dominanz der Online-Kanäle ist vor allem vor der Reise signifikant, sei es die Webseite der Unterkunft oder des Reiseziels oder auch auf den großen Buchungsplattformen. Auf analoger Seite können dort nur die „persönlichen Empfehlungen“ aus dem Verwandten- oder Bekanntenkreis mithalten, die noch einmal verdeutlichen, wie wichtig Empfehlungsmarketing ist.
Während der Reise zeigt sich jedoch ein anderes Bild. Hier spielen analoge Kanäle, allen voran die Tourist-Information, weiterhin eine zentrale Rolle, was erneut unsere Erkenntnisse aus unserer ReisePuls-Studie Future.TI bestätigt. Insgesamt rücken vor Ort persönliche Kontakte stärker in den Fokus, auch in der Unterkunft oder gegenüber Einheimischen. Digitale Kanäle haben hier vor allem Servicefunktionen wie etwa Orientierung und Navigation über Google-Maps oder die Wetter-App. Zur täglichen Inspiration vor Ort werden häufiger analoge Kanäle eingesetzt.
Ein Psychogramm der reisenden Deutschen
Erstmals haben wir in diesem ReisePuls Deutschland auch einen Single Association Test durchgeführt, um diejenigen Assoziationen und Werte zu ermitteln, die sich für bestimmte Zielgruppen mit dem „Reisen“ verbinden. Insgesamt wurden 30 Assoziationen oder Werte abgefragt, unterteilt in die Gruppen Freude, Status, Vertrauen, Vernunft, Freiheit und Neugier (in der Abbildung ein Beispiel für das Wertcluster "Neugier" nur für Reisende mit Reiseziel Deutschland). Zudem haben wir weitere acht Werte und Assoziationen abgefragt, die sich für eine zusätzliche Differenzierung eignen, von der Nachhaltigkeit bis zur Selbstverwirklichung.
Wenig überraschend dürfte es sein, dass Werte aus den Gruppen Freude, Neugier und Freiheit eine besonders starke Korrelation mit dem Reisen aufweisen. Aber: Zum einen zeigen viele Zielgruppen sehr spezifische Unterschiede, etwa Partytouristen, Gesundheitstouristen oder auch Kreuzfahrtreisende, um nur einige zu nennen. Zum anderen zeigen gerade auch die unterschiedlich starken Assoziationen in den drei anderen Gruppen Besonderheiten der jeweiligen Zielgruppe – besonders deutlich etwa in der Wertegruppe des Status. Und auch die zusätzlichen abgefragten Werte zeugen von erheblichen Unterschieden. Diesem Psychogramm der deutschen Reisenden werden wir noch eine spezielle Auswertung widmen.
Auf 2021 vorbereitet sein – auf alles vorbereitet sein
Zweifellos: Es gibt einen Hoffnungsschimmer für die Reisebranche und in den Antworten unserer Befragten spiegelt sich dies bereits wider. Das Reiseverhalten ist volatiler geworden und könnte sich sogar schneller „normalisieren“ als geahnt. Jedoch: Solange die Unsicherheiten bleiben, bleibt auch die Kunst der Improvisation gefragt. Dazu gehört:
- Die konsequente Eindämmung der Infektionsgefahr in der eigenen Destination
- Die permanente Weiterentwicklung des Krisenplans und einer „Corona-Toolbox“ angepasst an die Direktiven der Exekutive, die Impfsituation und das Verhalten der Gäste und Reisenden
- Eine entsprechende Entscheidungsstärke, Mut und Experimentierfreude
- Das Aufrechterhalten einer schnellen Aktions- und Reaktionsfähigkeit hinsichtlich personeller und finanzieller Ressourcen für das aktivierende Marketing und angepasste, emotionale Erlebnisangebote und Produkte
- Eine werteorientierte informierende Kommunikation auf Basis eines klaren Storytelling-Konzepts
- Die Pflege und der Ausbau eines funktionierenden Krisennetzwerks mit Partnern*innen und Leistungsträgern*innen
- Das Einholen regelmäßiger Stimmungsbilder und Trends, was wir teilweise gerne für Sie übernehmen.
So bleiben sie gefeit für die große Herausforderung, die – wir sind zuversichtlich - im Laufe des Jahres ihren Schrecken verlieren wird. Wir bleiben dabei an Ihrer Seite. Die umfassenden Ergebnisse unseres ReisePuls Deutschland 2021 können Sie in Kürze bei uns auf der Website abrufen.