Stefan Fredlmeier (Füssen): "Dass ich mich jemals mit einem Thema wie Kurzarbeit befassen muss, hätte ich nie gedacht."

Geschrieben von Stefan Fredlmeier am . Veröffentlicht in Lernkurve (Zukunftsblog)

Stefan Fredlmeier

 

Matthias Burzinski im Gespräch mit Stefan Fredlmeier -  Füssen Tourismus und Marketing

Mit Stefan Fredlmeier beginnen wir in der Lernkurve unsere tieferen Einblicke in die Tourismusorganisationen und ihren Umgang mit der Krise. Füssen war eine der ersten Destinationen, die unmittelbar die Auswirkungen des Corona-Virus gespürt hat. Später wurde auch Füssen von der Welle überrollt. Aber wie geht es weiter? Das wollten wir von Stefan Fredlmeier wissen.


Matthias Burzinski:
Zunächst die wichtigste Frage: Wie geht es Ihnen und Ihren Mitarbeitern? Sind alle gesund und wohlauf? Wie arbeiten Sie gerade?

Stefan Fredlmeier: Besten Dank für die Nachfrage! Man könnte sagen: „Den Umständen entsprechend schlecht…“. Gesundheitlich sind wir alle auf der Höhe, was am wichtigsten ist. Das Arbeitsumfeld hat sich freilich komplett verändert. Unsere langfristigen strategischen Ziele verlieren wir nicht aus den Augen, aber hinsichtlich des aktuellen Tagesablaufs ist unser Corona-Notfallplan mindestens genauso relevant.

 

Füssen war vermutlich eine der ersten Destinationen, die den Corona-Virus gespürt haben, als die Gäste aus Asien weniger wurden. Hat das frühzeitig die Sinne geschärft für das, was da auf uns zugerollt ist?

Tatsächlich ist über Füssen bereits Ende Januar die erste Corona-Welle hereingebrochen, wenn auch indirekt. Zu dieser Zeit ging es hauptsächlich um die Frage, wie sich die Ausreisebeschränkungen für chinesische Gäste auf die für diesen Markt relevanten Destinationen auswirkt. Das Schloss Neuschwanstein, Sehnsuchtsziel für Gäste aus der ganzen Welt, rückte auch Füssen in den Fokus medialer Aufmerksamkeit. Zu dem damaligen Zeitpunkt waren vorrangig Tourismusakteure betroffen, deren Geschäftsmodell stark an Gruppen aus Übersee, vor allem aus dem asiatischen Markt, geknüpft ist.

Für alle anderen Teile unserer Tourismusbranche ging das Leben fast wie normal weiter – außer gelegentlichen einst als etwas nervig empfundenen Anfragen, ob denn Füssen noch ganz sicher sei. Näher rückte das Virus mit der Absage der ITB. Als schließlich in schneller Abfolge die touristischen Sehenswürdigkeiten inklusive Neuschwanstein geschlossen wurden und die Allgemeinverfügungen den Tourismus stilllegten, waren wir wie alle anderen Destinationen mitten drin in einem Strudel, dessen negative Dynamik wir in dieser Form noch nie erlebt hatten.

 

In welcher Krisenphase sehen Sie sich und die touristischen Leistungsträger vor Ort? Ist die Schockstarre schon überwunden? Gibt es schon erste Szenarien?

In der inzwischen dritten Woche des Shutdown sind viele Sofortmaßnahmen eingeleitet oder umgesetzt: Kurzarbeit, Liquiditätssicherung, Prüfung der Betriebsschließungsversicherung inklusive der aktuell sehr schwierigen Diskussion, ob Allgemeinverfügungen als Vollzug des Infektionsschutzgesetzes durch die Versicherungen anerkannt werden müssen oder nicht… Zum Teil ziehen sich die Maßnahmen in die Länge, da die zuständigen Ämter extrem beansprucht sind.

Die meisten Betriebe stellen individuelle Kalkulationen an, wie groß der wirtschaftliche Schaden pro Ausfallwoche ist und wie lange sie den Shutdown wohl überleben werden. Glücklicherweise sind viele unserer Häuser untereinander gut vernetzt und helfen sich gegenseitig mit relevanten Informationen weiter. Vielfach ist unser Unternehmen die Informationsdrehscheibe. Und natürlich geht man alle möglichen Szenarien durch, die immer an die Frage gekoppelt sind: Wann und in welcher Form wird Tourismus wieder möglich sein?

 

Wovon ist Ihr Handeln derzeit bestimmt? Was sind die nächsten Ziele?
Und welche konkreten Aufgaben und Maßnahmen verbinden sich damit?

Wie sicher alle anderen DMOs stellen auch wir unsere gesamte operative Maßnahmenplanung hinsichtlich der Sinnhaftigkeit einzelner Maßnahmen in der jetzigen Situation auf den Prüfstand. Vertriebsorientierte Werbemaßnahmen haben wir auf Eis gelegt, da aktuell so gut wie niemand bucht. Ein Grundrauschen – vor allem im Allgäu-Netzwerk – halten wir indes aufrecht, um später wieder schnell auf die Inspiration aufbauen zu können. Sehr wichtig ist für uns momentan die Gästepflege über die sozialen Medien. Facebook und Instagram boomen, und die über den Austausch empfundene Treue der Gäste ist für unser Team gerade Balsam für die Seele.

Mit den eigentlich geplanten in Kampagnen eingebetteten Maßnahmen bleiben wir so lange wie möglich in den Startlöchern, um sie umzusetzen, sobald der potenzielle Gast dafür wieder offen ist. Sehr wichtig ist es für uns, die Handlungs- und Kampagnenfähigkeit zu erhalten, obwohl tendenziell die Gelder knapper werden. Unsere Leitprojekte wie die weitere bauliche Umsetzung unseres sogenannten „Masterplan Kneipp“, die Einführung der Kompaktkur zu gesundem Schlaf oder auch das grenzüberschreitende gesundheitstouristische Projekt „Lebensspur Lech“ verfolgen wir unverändert und sichern die dafür geplanten Mittel.

Ein weiterer Fokus ist auf die Krisenkommunikation gerichtet: sehr sachlich und transparent nach außen, möglichst informativ und Hilfestellung anbietend nach innen. Unser B2B-Newsletter FTM-News für die Partner ist inzwischen eine reine Corona-Information, in der wir durchaus hochfrequent alle in der jetzigen Phase relevanten Informationen präsentieren. Alles Schlechte hat auch etwas Gutes: Die Öffnungsrate war noch nie besser. Die Tourismusakteure aktiv durch die Krise zu begleiten, ist prioritär. Und natürlich anstrengend, weil wir mit diesem Umfeld auch für uns Neuland betreten.

Und natürlich muss ich mich um das eigene Unternehmen kümmern: um das Team, die Aufgabendisposition, die wirtschaftliche Sicherheit jedes Einzelnen und die Moral; und um die Absicherung des gesamten Unternehmens als Wirtschaftsbetrieb.

"Die Auswirkungen sind katastrophal."

 

Welche Auswirkungen hat die Krise auf Ihr Budget? Wird es tiefe Einschnitte geben müssen?

Die Auswirkungen sind katastrophal. Füssen Tourismus und Marketing ist eine Anstalt des öffentlichen Rechts. Damit ist das Unternehmen zwar eine 100%ige Tochter der Stadt Füssen, aber unsere Finanzierung erfolgt zum allergrößten Teil aus dem selbst erhobenem und eingezogenem Kurbeitrag und dem Fremdenverkehrsbeitrag der Übernachtungsbetriebe. Es gibt keine Unterstützung aus dem Steuerhaushalt der Stadt Füssen. Insofern tendieren unsere Einnahmen aktuell gegen Null. Die unsere Handlungsfähigkeit sichernde Liquidität unseres bis dato wirtschaftlich kerngesunden Unternehmens erodiert massiv. Dass ich mich jemals mit einem Thema wie Kurzarbeit befassen muss, hätte ich nie gedacht.

Es ist schon jetzt klar, dass wir sehr lange brauchen werden, um uns wirtschaftlich zu erholen. Gleichzeitig beschäftigt uns natürlich die Definition unserer Funktion nach der Corona-Phase. Wir werden als Wirtschaftsförderer extrem gefordert sein, was in der Regel mit bedeutenden Budgets verbunden ist. Gleichzeitig bluten wir aktuell selbst aus. Aus dieser Analyse heraus sehe ich zwei Notwendigkeiten:

1. Bei einem zweifelsfrei nötigen spezifischen Hilfsprogramm für die Tourismuswirtschaft darf man die öffentlichen Einrichtungen wie unser Unternehmen oder die Kommunen mit ihren Tourismusämtern nicht vergessen.

2. Für viele Orte ist der Tourismus ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor. Die Wirtschaftsförderung in diesem Bereich auch mit Steuermitteln kann haushaltsrechtlich nicht weiter als freiwillige Leistung eingestuft werden. Hier bedarf es einer klaren Definition, für welche Orte eine Anerkennung der Tourismusförderung auch als Pflichtaufgabe oder mindestens als nicht streichbare freiwillige Leistung möglich ist.

 

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Stimmen Sie der These zu, dass der Inlandstourismus nach der Öffnung sogar profitieren könnte? Und wenn ja, wie und ab wann sollte man sich darauf vorbereiten?

Ich rechne fest damit, dass alleine der Inlandstourismus geeignet ist, unseren Schaden zu begrenzen. Die Fernstrecke wird extrem lange brauchen, bis sie sich erholt. Gäste aus den Nachbarländern werden schneller zurückkehren, aber sicher auch mit Verzögerung. Deutschland, das als Reiseland eh im Meinungsbild der Deutschen in den letzten Jahren enorm an Wertschätzung gewonnen hat, wird nach meiner Einschätzung mit seiner Kombination aus Attraktivität und Sicherheit bei den – durchaus sicherheitsbewussten – deutschen Gästen sehr stark punkten können. Nicht vernachlässigen dürfen wir allerdings die folgenden Fragen: Welche Ferienregelungen wird es für das weitere Jahr geben? Wie stark wirkt die unvermeidbare Rezession auf das Urlaubsbudget? Wann und wohin dürfen wir überhaupt reisen?

Jeder ist angehalten, in einer Krise das eigene Geschäftsmodell zu überdenken. Vor allem hinsichtlich der eigenen Leistung, des Anspruchs, aber auch der Ausrichtung auf bestimmte Quellmärkte. Noch bis vor ein paar Wochen war es recht leicht, das Haus mit Gruppen aus Übersee vergleichsweise gut auszulasten. Über die Rendite dieses Geschäftsmodells sprechen wir an dieser Stelle lieber nicht. Die Phase vor Corona bestätigte einmal mehr, dass Fernmärkte volatiler sind als Nahmärkte. Diese Fokussierung kann man also durchaus hinterfragen – auch unabhängig von Corona.

Die anderen Bereiche unseres Tourismus entwickeln sich indes seit langer Zeit mit bewusster Qualitätsausrichtung. Diese Betriebe wegen Corona auf den Kopf zu stellen, ist unsinnig, denn die jetzige Krise ist keine Krise des Tourismus, sondern eine globale Krise der Gesundheit des homo sapiens, in weiterer Folge eine Wirtschaftskrise mit dem Tourismus als einem Teil davon. Sinnvoll ist aus unserer Sicht eine noch stärkere Ausrichtung auf den Inlandsmarkt, auf dessen Qualitätsanspruch und dessen Werte, denn der Anteil der deutschen Gäste (bisher in Füssen: 50% der Ankünfte, 75% der Übernachtungen) wird steigen. Die Marke Allgäu liefert dafür eine ausgezeichnete Orientierung. Und natürlich ist es unerlässlich, als Betrieb die eigene Sichtbarkeit und Buchbarkeit sicherzustellen. Hierfür haben wir bereits vor Corona eine Kooperation mit der OBS OnlineBuchungService GmbH gestartet.

Die eine oder andere Maßnahme vor Corona wurde seitens der Gastgeber durch eine gewisse Sattheit und Bequemlichkeit oder das Vertrauen auf Stammgäste gebremst. Das Allgäu hat sich in den letzten Jahren touristisch formidabel entwickelt, und das Schloss Neuschwanstein ist ein weltweiter Magnet. Diese Sattheit dürfte jetzt eher wirtschaftlichen Sorgen bis hin zu Existenzängsten gewichen sein. Unsere Aufgabe sehen wir darin, dass diese Ängste eben nicht in Schockstarre ausarten, sondern der Blick auf die Zukunftsentwicklung gerichtet bleibt. Insofern sind wir mitten in der Vorbereitung.

Wie lange solch ein potenzieller Shift wirkt, wird freilich maßgeblich davon abhängen, wie nachhaltig sich Corona auf die Psyche des Menschen und damit auf das Reiseverhalten auswirkt. Zukunftsforscher zerbrechen sich darüber die Köpfe. Ob sich irgendwann wieder das alte Gleichgewicht einpendelt oder wir einen Übergang in eine neue Konstellation erleben, kann ich aktuell nicht einschätzen.

Dafür, unser Geschäftsmodell oder unsere Ausrichtung zu überdenken, besteht noch kein Anlass.

 

Wie würden Sie derzeit Ihre langfristige Strategie skizzieren? Suchen Sie den Weg zurück in den Zustand wie er vor der Krise war? Oder ist die Krise Anlass, das eigene Geschäftsmodell und den Tourismus in Füssen noch grundsätzlicher zu überdenken?

Dafür, unser Geschäftsmodell oder unsere Ausrichtung zu überdenken, besteht noch kein Anlass. Freilich beobachten wir aufmerksam, wieviel Handlungsspielraum uns zukünftig überhaupt noch bleibt, um unsere doch sehr aufwändigen Aktivitäten zur Stützung des Tourismus zu betreiben. Unsere qualitäts- und werteorientierte, auf Wertschöpfung und den Markenkern der modern gelebten Romantik ausgerichtete Strategie bleibt erhalten, stets in enger Vernetzung mit der Markenstrategie Allgäu.

Wir hoffen, dass sich dieser Kurs in Füssen noch stärker verankert und noch mehr Akteure den Tourismus bewusst zur Schaffung besonderer Momente und nicht nur als Geschäftsmodell betreiben, weil Tourismus gerade boomt. Zumindest war es bis vor ein paar Wochen so, dass wir einen Boom hatten. Den Tourismus stellen wir laufend auf den Prüfstand, wie es das Qualitätsmanagement eh gebietet. Die Overtourism-Debatte gerade der letzten zwei Jahre war dafür ein zusätzlicher Katalysator.

 

Werden wir wieder Overtourism in Füssen erleben?

Das Gefühl von Overtourism ist stark an die individuelle Wahrnehmung und Empfindung gebunden. Ich gehe davon aus, dass sich viele nach der Zeit zurücksehnen, in der wir nur dieses Luxusproblem hatten. Ich gehöre dazu.

 

Stefan Fredlmeier ist Vorstand und Tourismusdirektor von Füssen Tourismus und Marketing.

www.fuessen.de

 

Bild: Füssen Tourismus und Marketing, https://pixabay.com/de/photos/neuschwanstein-schloss-bayern-4613926/

 

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