Neue EU-Pauschalreiserichtlinie gefährdet Arbeit der Tourismusorganisationen und TIs

Geschrieben von Matthias Burzinski am . Veröffentlicht in Future.TI: Blog zur Zukunft der Tourist Information

TI bsp


Viele Tourismusorgansationen haben noch nicht einmal das neue EU-Beihilfe- und Vergaberecht verarbeitet - da droht schon neues Ungemach. Von der EU-Pauschalreiserichtlinie: Die macht nämlich aus einem Vermittler ziemlich schnell einen Reiseveranstalter - mit allen haftungsrechtlichen Konsequenzen.

"Kleine sollen künftig für Große haften", kritisierte dementsprechend scharf bereits der Deutsche ReiseVerband (DRV) in seiner Stellungnahme zur Umsetzung der EU-Pauschalreiserichtlinie in deutsches Recht. Nach Auffassung des führenden Branchenverbandes der Touristik würde der Referentenentwurf bei einer Umsetzung in der vom BMJV vorgelegten Fassung die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gerade für kleine und mittelständische Reisebüros massiv verschlechtern, weil sie unter anderem für vermittelte Leistungen Dritter haften sollen.

Und auch der Deutsche Tourismusverband läuft Sturm gegen die Neuregelung. Denn in dem Referentenentwurf ist ein besonders weit gefasster Pauschalreisebegriff zugrunde gelegt, der praktisch schon bei separater Vermittlung von zwei einfachen Leistungen den Vermittler zum Veranstalter macht oder in Form so genannter "verbundener Reiseleistungen" besondere Informationspflichten abfordert, z.B. von der Tourist-Information bzw. der Tourismusorganisation. Dann müssten z.B. entsprechende Insolvenzversicherungen vorliegen oder es müssten im Vorfeld erhebliche bürokratische Vorkehrungen getroffen werden, etwa die Umstellung auf Direktinkassoverfahren. Das dürften sich die wenigsten leisten können. Viele dürften sich aus dem Vermittlungsgeschäft zurückziehen, was für den Gast und Kunden eine Verschlechterung darstellte. Die Details können der Stellungnahme des Deutschen Tourismusverbandes entnommen werden.

Der DRV hat bereits Ende Juli seine seine Bewertung und Stellungnahme an das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) abgegeben und fordert darin im Interesse sowohl der Reisebranche als auch im Interesse von Millionen Kunden Bundesjustizminister Heiko Maas auf, den vorgelegten Referentenentwurf an entscheidenden Stellen erheblich nachzubessern. Der DTV kritisiert zudem, dass gerade in den Passagen, wo Spielraum für die Auslegung in nationales Recht bestanden habe, diese nicht genutzt worden seien.

Knapp 80 Prozent der Reisebüros fürchten laut einer Umfrage des DRV finanzielle Einbußen, über 90 Prozent der rund 700 befragten Reisemittler gehen davon aus, dass der bürokratische Aufwand mit der Umsetzung des Referentenentwurfs deutlich steigen wird. Denn beim Verkauf von Einzelleistungen (etwa Flug, Hotel etc. unterschiedlicher Anbieter) besteht nun die Gefahr, dass Reisebüros dann rechtlich wie ein Reiseveranstalter behandelt würden. Künftig soll nach den Vorstellungen des BMJV unter bestimmten Voraussetzungen ein mittelständisches Reisebüro für vermittelte Reiseleistungen von großen Anbietern – wie Fluggesellschaften, Hotelketten Mietwagenanbietern etc – haften. Das überfordert die kleinen und mittelständischen Anbieter – auch KMU genannt – über alle Maßen und ist nicht sachgerecht.

Bürokratie vs. Kundenfreundlichkeit

Der für die Umsetzung in deutsches Recht vorgeschlagene Weg, damit Reisebüros und auch Tourismusorganisationen wie bisher dem Kunden verschiedene Reiseleistungen vermitteln können, ist bürokratisch und nicht praxistauglich. Im Geschäftsalltag müsste der Kunde jede Leistung nacheinander auswählen, das Reisebüro und die TI dem Kunden jede einzelne Leistung separat buchen und einzeln in Rechnung stellen. Dabei muss erst die erste Buchung abgeschlossen werden mit Rechnungserstellung einschließlich Bezahlung dieser Leistung. Erst nach Abschluss dieses Buchungs- und Bezahlvorgangs kann die nächste Reiseleistung ausgewählt, gebucht und bezahlt werden. Und danach die dritte etc.

Kunden würden sich fragen, warum sie die Leistungen nicht in einem Gesamtbetrag bezahlen könnten und warum sie entgegen der bisherigen Praxis bei jeder Reiseleistung separat unterschreiben müssen. Das würde für alle Beteiligen aufwändiger, langwieriger und damit viel umständlicher. Zusätzlicher Aufwand bedeutet auch zusätzliche Kosten. Weitere Aufwendungen entstünden durch notwendige Versicherungen für die Absicherung von möglichen Haftungsrisiken. Für viele Reisebüros und kleine Tourismusorgansationen wäre all dies kaum zu schultern und existenzbedrohend. Denn sie müssten sich fragen, ob ihr Geschäftsmodell in der bisherigen Form noch wirtschaftlich ist.

Neben den zu erwartenden erheblichen ökonomischen Einschnitten führen die Vorschläge des federführenden Ministeriums zudem zu großer rechtlicher Unsicherheit. „Dies beeinträchtigt das Vertrauen der vielen tausend mittelständischen Unternehmer in die Politik, sachgerechte und praktikable wie auch wirtschaftlich vertretbare Lösungen zu finden, gravierend“, so das Fazit von DRV-Präsident Norbert Fiebig.

Es ist für den DRV und auch den DTV nicht nachzuvollziehen, warum das BMJV einseitig höhere Auflagen für die Wirtschaft in Deutschland vorsieht und damit über das von der EU festgelegte Maß hinausgeht. Dies steht im klaren Gegensatz zu der Positionierung der Bundesregierung und Koalition, KMU stärken und von bürokratischen Lasten befreien zu wollen – weist der DRV in seiner Stellungnahme an das Bundesjustizministerium hin.

Der vorhandene rechtliche Spielraum sollte vom federführenden Ministerium genutzt werden, um für Reisebüros und Reiseveranstalter sowie Tourismusorgansationen eine tragfähige und praktikable Lösung zu finden. Es gehe nicht alleine um die Zukunft einzelner Reisebüros, sondern um die Chance, dass die gewachsenen Stärken und besonderen Merkmale des vielfältigen und mittelständisch geprägten Reisevertriebs in Deutschland fortbestehen können, heißt es in der Stellungnahme.

Bleibt zu ergänzen: Für die Tätigkeit vieler Tourist-Informationen bedeutete dies - wenn sie überhaupt noch sinnvoll durchgeführt werden könnten, dass sie die Leistungen gegenüber den Gästen mitunter bewusst verschlechtern und dies auch noch gegenüber dem Kunden rechtfertigen müssten. Das ist nicht gerade die beste Ausgangssituation für eine optimierte Servicequalität und schon gar nicht im Sinne des Verbrauchers.

Weder klar noch verständlich

Zudem vermisst der DRV in dem Referentenentwurf eine allgemeinverständliche Darstellung der rechtlichen Zusammenhänge. Dieser muss in der Praxis vor allem von Reisebüros und nicht von Juristen angewendet werden. Der vorgelegte Rechtstext genügt laut Einschätzung des DRV den Anforderungen an Klarheit und Verständlichkeit nicht.

DTV und DRV unterbreiten in ihren Stellungnahmen konkrete und umsetzbare Vorschläge, wie die Belastungen für die Reiseindustrie in Deutschland spürbar reduziert und auf ein gerade noch vertretbares Maß gebracht werden können. Bleibt zu hoffen, dass dieser Branchenaufschrei Gehör findet, ansonsten werden die Gäste gravierenden Veränderungen im Kontakt mit den Tourismusorgansiationen und in den TIs hinnehmen müssen. Offensichtlich wurde hier das falsche Maß angelegt in der Abwägung von Verbraucherschutz und Verbraucherservice.

www.drv.de
www.deutschertourismusverband.de

Bild: Matthias Burzinski

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