Heilbäder und Kurorte in Hessen: In Existenznot

am . Veröffentlicht in Gesundheitstourismus & Medical Wellness

Bad Nauheim

 

Kur & Tourismus bescheren der hessischen Wirtschaft alljährlich hohe Umsätze. Das belegt eine Studie des Deutschen Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts (dwif). Im Vergleich der Jahre 2019 und 2020 wird jedoch deutlich, warum die aktuelle Situation inzwischen für die Heilbäder und Kurorte in Hessen existenzbedrohend geworden ist.

„Rund 891 Millionen Euro Umsatz fehlen den Heilbädern und Kurorten in Hessen allein 2020“, erklärt der Vorsitzende des Hessischen Heilbäderverbandes, Bürgermeister Michael Köhler. „Diese beträchtliche Summe lässt die Entwicklungen und Investitionen deutlich schrumpfen und bringt den Wirtschaftskreislauf zum Knirschen. Das ist nach guten Jahren eine schmerzhafte Vollbremsung.“

Es sei Sand im Getriebe und das bringe weitere Branchen in Gefahr. Denn 40.000 Menschen engagieren sich in den letzten Jahren allein in der Gesundheitswirtschaft der Heilbäder und Kurorten in Hessen. Hinzu kommen mehrere 10.000 Menschen, die in den tourismusindizierten Bereichen eine Chance auf Arbeit finden und damit die Möglichkeit ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Die Zwangspausen, die die Corona-Pandemie verordnet hat, sorgen bereits an dieser Stelle für einen tiefen Einschnitt. 2020 konnten in der Gesundheitswirtschaft der Heilbäder und Kurorte „nur noch“ 24.000 Vollzeitäquivalente ermittelt werden.

Es knirscht und knackt auch in der Hotellerie, der Gastronomie und dem Einzelhandel sowie dem Dienstleistungssektor. So sanken die Übernachtungen von 10,247 Millionen im Jahr 2019 auf 6,640 Millionen im Jahr 2020. Ein herber Verlust, den vor allem in der Hotellerie der 30 prädikatisieren Orte zu Buche schlägt. Der größte Teil der Übernachtungen entstand in den Kliniken und Reha-Zentren – jedoch ohne dabei die üblichen Umsätze durch die Patientinnen und Patienten auszulösen. In welches Geschäft, Café oder Restaurant hätten die Gäste auch gehen sollen, wenn die Öffnungszeiten heruntergefahren oder die Betriebe sogar ganz geschlossen sind?

„Die wirtschaftlichen Effekte des Kur- und Bäderwesens sind facettenreich und wirken sich auf eine Vielzahl von Branchen aus. Darum ist es so wichtig ist, dass Politik und Gesellschaft in die Kurzentren investieren“, erklärt die Geschäftsführerin des Hessischen Heilbäder-verbandes, Almut Boller. „Das gilt umso mehr, da das Thema Corona noch längst nicht ausgestanden ist. Die Folgen der Erkrankung sind vollkommen unerforscht und auch das Krankheitsbild vage.“

„Alles in allem betrachtet, erwirtschaften die Heilbäder und Kurorte in Hessen auch unter den herausfordernden Bedingungen einer weltweiten Pandemie eine Brutto-Wertschöpfung in Milliardenhöhe, macht Hessens Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir bewusst. „Sie sehen für Arbeitsplätze und Wertschöpfung, und zwar auch abseits der Ballungsräume. Das ist der Hessischen Landesregierung sehr bewusst. Deshalb schaffen wir mit der ‚Zuweisung für Heilkurorte‘ in Höhe von 13 Millionen Euro pro Jahr die finanzielle Basis, damit die prädikatisierten Gesundheitsstandorte den gesetzten Qualitätskriterien gerecht werden können. Zudem unterstützen wir die kurspezifische und touristische Infrastruktur in diesen Orten aus Landes-, Bundes- und EU-Mitteln. In den vergangenen sechs Jahren haben wir dafür fast 25 Millionen Euro eingesetzt und damit Investitionen von rund 60 Millionen Euro ausgelöst.“

Zu den ermittelten Daten im Einzelnen

Insgesamt wurden 2019 rund 10,2 Millionen Übernachtungen verzeichnet, 2020 dagegen nur 6,6 Millionen. Der größte Anteil davon fand jeweils in den gewerblichen Betrieben mit mehr als 10 Betten statt, zu denen auch die Vorsorge- und Rehakliniken zählen.
Die Heilbäder und Kurorte leisteten 2019 einen Beitrag von rund 28 % (2020: 36 %) zu den gesamten Übernachtungen in Hessen, das 2019 über rund 35,6 Millionen Übernachtungen (2020:
18,5 Millionen Übernachtungen) verzeichnete. „Damit sind die Heilbäder und Kurorte ein wichtiges Standbein des Tourismus in Hessen,“ erklärt die Geschäftsführerin des Hessischen Heilbäderverbandes, Almut Boller.
33,5 Millionen Tagesausflüge in die Heilbäder und Kurorte in Hessen wurden für das Jahr 2019 ermittelt, für 2020 „nur“ 26,5 Millionen. „Dennoch sind die Tagestouristen nach wie vor in Bezug auf die Aufenthaltstage das mit Abstand wichtigste touristische Marktsegment“, bestätigt Dr. Bernhard Harrer, Vorstand des dwif München.
Werden Übernachtungsgäste und Tagesausflügler zusammen-gezählt, erreichen die Heilbäder und Kurorte 2019 über 43,7 Millionen (2020: 33,1 Millionen) Aufenthaltstage. Tages- und Übernachtungssegmente zusammen ergeben durchschnittliche Gesamtausgaben in Höhe von 54,10 Euro (2020: 44,50 Euro) pro Kopf und Tag beziehungsweise Übernachtung. Deutliche Unterschiede gibt es hier zwischen den Tagesreisenden, die durchschnittlich 29 Euro (2020: 25 Euro) pro Kopf und Tag ausgeben, und den Übernachtungsgästen in gewerblichen Betrieben, die im Schnitt 151 Euro (2020: 136 Euro) pro Kopf und Tag im Ort lassen.
Durch Tages- und Übernachtungsgäste zusammen werden in den Heilbädern und Kurorten Bruttoumsätze von insgesamt 2,4 Milliarden Euro (2020: 1,5 Milliarden Euro) generiert.
Wo Geld ausgegeben wird, freut sich auch das Finanzamt über Einnahmen. Durch Kur & Tourismus in den Heilbädern und Kurorten in Hessen flossen dem Fiskus rund 221,1 Millionen Euro (2020: 134,1 Millionen Euro) aus Mehrwert- und Einkommenssteuer zu.

Ziel der Studie ist die Ermittlung des ökonomischen Stellenwertes von Kur & Tourismus für die Heilbäder und Kurorte in Hessen. Und das mit gutem Grund, denn die prädikatisierten Orte seien regionale Versorgungszentren mit ausgezeichneter Infrastruktur, Kunst- und Kulturraum und sichern zudem hochwertigen und gesunden Lebensraum für Gäste und besonders für die Bürgerinnen und Bürger. Vor allem aber sind die Heilbäder und Kurorte Kompetenz-Zentren für Vorsorge, Rehabilitation und medizinische Versorgung und bieten eine Grundversorgung an Gesundheitsangeboten.

https://www.hessische-heilbaeder.de

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