Dr. Bodo Thielmann (DS Destination Solutions): „Ich glaube, dass die DMO eine immer wichtigere Rolle spielt, als Multiplikator positiver Entwicklungen zu agieren.“

Geschrieben von Matthias Burzinski am . Veröffentlicht in Lernkurve (Zukunftsblog)

Bodo Thielmann DS Destination Solutions

 

Das Ferienhaus- und Ferienwohnungssegment gehört nicht erst seit der Corona-Krise zu den Gewinnern der Branche. Grund genug, sich der Entwicklung einmal genauer zu widmen, in einem Interview mit jemandem, der sich wie kaum ein zweiter in diesem Segment auskennt.

Dr. Bodo Thielmann ist CEO der DS Destination Solutions und Mitglied im Management Board der HRS Group. Der studierte Betriebswirt und Politikwissenschaftler bringt nicht nur eine langjährige Führungserfahrung mit, sondern auch tiefgehendes Know-how in der Online Ferienhausvermarktung sowie digitalen Geschäftsmodellen.
Seit der mehrheitlichen Übernahme der @Leisure Group durch Axel Springer im Jahr 2015 baute Bodo Thielmann als Chief Finance & Investment Officer die in Amsterdam ansässige Gruppe gemeinsam mit seinen Kollegen durch Akquisitionen und organische Wachstumsinitiativen zu einem führenden Veranstalter und Vermittler für Ferienunterkünfte in Europa, mit den Marken Belvilla, DanCenter und Traum-Ferienwohnungen aus. Im Sommer 2020 wechselte Bodo Thielmann schließlich zur HRS Group und führt als CEO die Geschäfte der DS Destination Solutions GmbH. Das Unternehmen hat gegen den Krisentrend im letzten Jahr sehr gute Zahlen vorgelegt. Doch wie wird es weitergehen?

 

Matthias Burznski (destinet.de): Seit gut einem Jahr navigiert der Tourismus durch eine der schwersten wirtschaftlichen Krisen der Geschichte, trotzdem gelingt es Ihrem Unternehmen sehr gute Zahlen vorzulegen. Was sind die Gründe für diese gute Performance?

Bodo Thielmann: Es ist kein Geheimnis, das Jahr 2020 war mit Start der Corona-Krise eine Achterbahnfahrt. Geprägt durch Lockdowns, die An- und Abreisen in Deutschland wochenlang unmöglich gemacht haben. Ich erinnere mich aber noch sehr gut an den 18. Mai 2020 - die Öffnung Schleswig-Holsteins. Ab dann hat es einen Ansturm auf die deutschen Destinationen gegeben, welcher bis Ende Oktober (Beginn des neuen Lockdowns) angehalten hat. Es war ein Auf- und Ab der saisonalen Entwicklung, anders als in den Jahren zuvor. Aber trotz dessen konnten wir letztes Jahr ein zweistelliges Wachstum erzielen. Das liegt natürlich daran, dass Corona kaum Urlaub in anderen Ländern erlaubt und eine verstärkte Nachfrage nach Inlandstourismus hervorgerufen hat. Zum anderen sehe ich aber auch einen strukturellen Trend, der nichts mit Corona zu tun hat. Nämlich der Trend zu nachhaltigerem, individuellem Urlaub und zur Kategorie „Ferienhaus“, die eigentlich seit Jahren zu den Gewinnersegmenten im Tourismus gehört.

Warum brauchte es aus Ihrer Sicht eine so massive Krise, um die Digitalisierung voranzutreiben? War es nicht schon vorher offensichtlich, dass daran kein Weg vorbeiführt? Was hat die Akteure vorher davon abgehalten, die Digitalisierung ernster zu nehmen?

Generell haben sicherlich viele Gäste und auch Gastgeber das Thema Ferienhausfremdvermietung jetzt erst für sich (neu) entdeckt. Ich beobachte die Branche schon länger und sehe den Wandel klassischer Inseratsmodelle, welche erst komplett offline, dann online angeboten wurden. Dennoch arbeiten viele Gastgeber nach wie vor mit Anfragebuchungen, weil sie unsicher sind, welchen Gast sie in die Unterkunft lassen wollen und erst mit diesen in Kontakt treten wollen. Da sich der Trend immer mehr zur Online-Buchung bewegt, die Gäste also sofort eine Bestätigung ihrer Unterkunft haben wollen anstatt 24-48 Stunden darauf zu warten, um dann wieder neu suchen zu müssen, kann dieser kaum noch (von den Gastgebern) aufgehalten werden. Die Online-Buchung ist dementsprechend nicht nur die Art und Weise, wie der Gast buchen will, sondern eigentlich auch das, was dem Gastgeber Mehrwert bringt. Dementsprechend vertrauen viele schon zunehmend professionellen Playern wie uns oder anderen kleineren und größeren Buchungsportalen, um die Online-Buchbarkeit möglich zu machen.

Aber heißt das, dass die Gäste in der digitalen Nutzung gedanklich schon weiter sind als die Gastgeber?

Das kann man pauschal nicht beantworten. Dennoch würde ich behaupten, dass der Gast diese Online-Buchbarkeit haben möchte, da er/sie das von anderen touristischen Leistungen und generell vom E-Commerce gewohnt ist. Bei den Gastgebern muss man jedoch unterscheiden: Es gibt professionelle Player, Agenturen, teilweise sind auch die DMOs schon professionell aufgestellt – andere wiederum haben noch einen weiten Weg zu gehen. Dabei wird den DMOs eine elementar wichtige Rolle bei der Übersetzung der Nachfragesituation hin zu den Einzelgastgebern, die noch verunsichert und verhalten agieren, zugeschrieben.

Zum anderen zeigen sich regionale Unterschiede: In Norddeutschland, an der Küste, gibt es bislang mehr professionelleren Tourismus, durch Agenturen und Real-Estate-Developer, die mehr Inventar geschaffen haben, vor allem im Ferienhausbereich. In Süddeutschland und dem Rest der Republik gibt es noch deutlich mehr Einzelgastgeber und Pensionen, die noch nicht so sehr über Agenturen organisiert sind und noch stärker von der DMO geführt und dementsprechend erst an die digitale Präsenz und Buchbarkeit hingeführt werden. Aber das ist ein kontinuierlicher Prozess: Ich würde nicht behaupten, dass sich der Teil jener Gastgeber, die noch auf Anfragebuchung statt digitale Onlinebuchung setzen, durch die Corona-Krise signifikant verändert hat.

Trotzdem ist es klar, dass die Nachfrage auch dieses Jahr ungleich größer wird und all die Vermieter, die noch auf Anfragebuchung setzen, sich ein bestimmtes Erlöspotential abschneiden.

Gibt es für das Gefälle zwischen den Destinationen und die Unterentwicklung einiger Regionen noch andere Ursachen?

Die Unterentwicklung ist vielschichtig. Ich glaube, dass die DMO eine immer wichtigere Rolle spielt, als Multiplikator positiver Entwicklungen zu agieren und als Übersetzer zu fungieren. Wenn eine DMO aber eher „old-fashioned“ ist, dann wird man an der Stelle keinen Rückenwind bekommen und hoffentlich keinen Gegenwind.
Bei den Gastgebern ist es aber auch ein Generationenthema: Wenn die Kinder das Management des Objekts übernehmen, werden diese sicher auch andere Tools einsetzen und einführen, als die Eltern es tun.

Wenn sie die Vermietung überhaupt weiterführen wollen, das ist ja auch immer eine ganz entscheidende Frage.

Natürlich, da gibt es definitiv Unterschiede. Aus meiner allgemeinen Erfahrung und Marktbeobachtung der letzten Jahre, kann ich sagen, dass der Bestand an Ferienwohnungen generell groß ist. Nur ein Bruchteil davon wird überhaupt professionell vermietet. Oder eben an Family & Friends, also die Vermietung unter der Hand. Zudem gibt es unterschiedliche Typen an Ferienhausbesitzern. Es gibt den Typus des Hauseigentümers, der alles selbst in die Hand nimmt. Der im Extremfall vielleicht auch nur ein Listing kauft und alles in der Kommunikation selbermacht. Zum anderen gibt es das Extrem des Gastgebers, der sich in die Hände einer Agentur, oder überregional wäre es ein Veranstalter, begibt.

Die Qualität des Objekts hat damit mehrere Dimensionen:
1. Online-Buchbarkeit, wenn man zu einer Agentur oder einem Veranstalter geht, muss man online buchbar sein.
2. Die Qualität des Hauses – fängt schon mit der Gestaltung an. Wir haben erst im Herbst/Winter Tipps zur Vorbereitung auf die nächste Saison gegeben. Bereits mit kleinen Investitionen ist man up-to-Date.
3. Professionelle Fotos und attraktive, korrekte Texte.

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Können Sie schon Nachfragetrends für das Jahr absehen? In unserer Studie ReisePuls Deutschland konnten wir feststellen, dass viele vor allem auf den Sommer setzen und im Frühjahr die Nachfrage noch eher verhalten sein wird. Auch aufgrund der Unsicherheiten.

Wir sehen bereits jetzt, dass die Buchungsentwicklungen über dem „Vorher“ sind und die Buchungslage in einigen Regionen für die Sommermonate sogar schon enger wird. Wenn man beispielsweise im Sommer an die Ostsee fahren möchte, sollte man jetzt buchen. Gleichzeitig weisen wir unsere Agenturen bzw. Gastgeber darauf hin, die Stornierungsmöglichkeiten flexibler zu gestalten, um die Unsicherheiten der Gäste zu reduzieren. Insofern ist das auch etwas Risiko-Sharing.
Trotzdem sehen wir auch eine gewisse Zurückhaltung in den Buchungen und hätten mehr erwartet. Gleichwohl wir aber über dem Vorjahreswert sind, blicken wir dem Sommer zuversichtlich entgegen. Denn je länger die Unsicherheit gegenüber Reisen im europäischen Ausland anhält, desto mehr werden die Deutschen zum Inlands-Urlaub motiviert. Was wir im letzten Jahr sehr stark gesehen haben, ist das kurzfristige Reisen. Ich denke, es wird auch in diesem Jahr wieder so sein, dass noch spontan und kurzfristig gebucht wird.

Sind auch Trends zu bestimmten Reisezielen erkennbar?

Unsere Knappheitskarte zeigt, dass sich die Trend-Ziele nicht vom letzten Jahr unterscheiden. Das sind die deutschen Küsten, die bayerischen Alpen und der Bodensee. Danach folgen die Mittelgebirgsziele und anderen Regionen. Aber was wir von den bisherigen Buchungszahlen für den Sommer ablesen können, ist, dass es eigentlich die gleichen Top10 Orte (auf Usedom, Rügen, Sylt, u.Ä.), wie letztes Jahr sind.

Das Heidiland in der Schweiz ließ jüngst damit aufhorchen, dass es eine Tourismus-Blockchain entwickeln lässt? Dies ist schon ein anderer Ansatz als das, was wir derzeit in Deutschland als favorisierte Lösungen ansehen. Wie schätzen Sie diese Entwicklung ein? Ist das ein zukunftsfähiges Modell für Buchungsprozesse o.Ä.?

Das Thema Blockchain wird ja seit Jahren von der TUI propagiert. Die Frage ist: Fängt das im Ferienhaus-Tourismus an oder in noch größeren Rahmen des Tourismus? Natürlich ist es eine Technologie, eine Entwicklung, die wir beobachten und mit der wir uns auf der IT-Seite beschäftigen. Aber letztendlich hat es keine konkrete Auswirkung auf uns. Im Großen und Ganzen müssen die Kosten und Nutzen, Möglichkeiten und Begrenzungen gegeneinander aufgewogen werden. Wie die Prozesse im Hintergrund umgesetzt werden, hängt davon ab, wie meine Plattform besser funktioniert. Was zählt ist, was der Gast, Gastgeber oder Vertriebspartner von unseren Leistungen mitbekommt, wie er diese sieht und bewertet. Die Frage ist demnach, ob Blockchain eine echte Verbesserung oder nur eine Alternative ist.

Welche Schwerpunkte setzen Sie in der künftigen Weiterentwicklung von Buchungsprozessen und der Digitalisierung im Allgemeinen? Gibt es noch radikale Neuerungen oder Schritt-für-Schritt-Verbesserungen?

Wenn ich an den Gast als Kunden denke, dann erwartet er im Tourismus-Bereich auch immer stärker, was er von anderen E-Commerce-Marktplätzen kennt. D.h. mobile Zahlmechanismen, Stornierbarkeiten etc. Also diverse Aspekte, die das Online-Einkaufs-Erlebnis positiv prägen. Es gibt Shops, die das `state-of-the-art´ machen und andere, bei denen das sehr holprig verläuft. Ich glaube, das ist die Erwartung, die der Gast auch an uns haben wird. Und unsere Aufgabe ist es auch, den Gastgeber also den Supplier, da schrittweise heranzuführen.

Die Krise ist auch für uns alle persönlich eine Herausforderung? Wie gehen Sie selbst damit um? Haben Sie bestimmte Strategien oder Routinen entwickelt, um die Situation zu meistern? Gibt es Auswirkungen auf die internen Prozesse im Unternehmen?

Unternehmen, die komplett zentral organisiert waren, mit viel physischer Präsenz-Kultur, haben in dieser Situation natürlich einige Nachteile. Bei Destination Solutions ist das glücklicherweise nicht so. Wir sind ein dezentral aufgestelltes Unternehmen mit verschiedenen Standorten, aber auch vielen Kollegen/-innen, die schon immer im Homeoffice arbeiten. Wir haben bereits vor der Pandemie alle Tools praktiziert und in unsere täglichen Prozesse abgestimmt, was sich nun als Stärke von uns beweist. Nach Corona, wenn sich einiges wieder normalisiert, wird es, vermute ich, mehr wie jetzt sein und weniger wie davor. Worauf wir uns aber trotzdem freuen, sind die menschlichen Begegnungen, sei es mit Kunden oder auch (neuen) Kollegen/-innen. Aber: Ich verstehe die momentane Situation als Chance und als Stärkung und nicht unbedingt als Schwächung.

Nicht zuletzt schüttelt es auch die Prozesse in den Unternehmen durch. Es hat Auswirkungen auf Geschäftsreisen etc. Wie mussten Sie Ihre Strukturen und Abläufe anpassen?

Es wird bewusster gereist. Ich würde nicht sagen, dass die Geschäftsreise nach Corona grundlegend anders aussieht. Man wird auf Hygiene und Stornierbarkeit achten und sich grundsätzlich fragen „Muss diese Reise sein?“. Man wird sich bewusster bewegen. Aber auch das Geschäftsreisen wird wieder kommen. Ich sehe da auch eine sehr positive Zukunft für Unternehmen im Geschäftsreisebereich, die gut positioniert sind, wie die HRS Gruppe.

Glauben Sie, dass wir in vielen Bereichen wieder zu unseren Routinen zurückkehren oder haben wir uns alle in der neuen Realität schon so eingerichtet, dass wir vieles auch beibehalten werden? Ganz unabhängig von der Corona-Krise: Wie wird der Tourismus der Zukunft aussehen?

Der Mensch, wenn er sich es wirtschaftlich leisten kann, will Neues kennenlernen und Abwechslung von den eigenen vier Wänden haben. Das wird nicht weggehen, sondern wiederkommen – und zwar ganz massiv. Natürlich in Form von Fernreisen und Urlaub in den Süd-Destinationen. Aber auch der Inlandstourismus, Destinationen, die man noch nicht kannte, wie bspw. der Harz oder Spreewald, werden vermehrt nachgefragt werden. Einige werden dabei bewusster planen und andere spontaner buchen.

Deshalb sind die Dinge, die wir die letzte halbe Stunde besprochen haben, auch so wichtig: Man muss mehr Flexibilität und Zuverlässigkeit in die Buchung bringen.
Und eins ist klar, wenn Corona weg ist, werden immer mehr Menschen auch an den Klimawandel denken und beim Buchen eines Fluges eventuell zurückschrecken und in die Bahn oder das Autos steigen, eine relativ überschaubare Strecke fahren, um im Inland Ferienhaus-Urlaub machen. Auch da sehen wir einen nachhaltigen Trend, nicht nur in der ökologischen Nachhaltigkeit, sondern auch in der Individualität. Die großen „Bettenburgen“ im In- und Ausland sind mittlerweile auch nicht mehr angesagt, sondern die Individualität ist angesagt.

Ich bin selbst in dieser Branche, weil ich mich hier am allerwohlsten fühle. Ich glaube das Produkt, das wir vertreiben, was unsere Gastgeber und OTA-Partner vertreiben und unsere Gäste nachfragen, ist das Produkt, mit dem wir uns alle identifizieren können. Und wo ich auch sehe, dass man an den Prozessen in diesem Geschäft noch einiges professionalisieren kann. Daran haben wir großen Spaß und große Lust, diese Branche noch weiter zu professionalisieren und weitervoranzutreiben.

Herzlichen Dank für das Gespräch und die Einblicke. Und weiterhin viel Erfolg auf diesem Weg der Professionalisierung.