Welterbe Westwerk Corvey: Virtual-Reality und intelligente Glaswände für eine Reise in die „Himmelsstadt“

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Das Welterbe Westwerk Corvey soll sich ab 2019 den Besuchern auf völlig neue und innovative Weise erschließen. Eine facettenreiche, virtuelle Raum- und Lichtinszenierung und Virtual-Reality-Brillen sollen dann direkt am historischen Ort dazu einladen, in die frühmittelalterliche Geschichte des Weltkulturerbes einzutauchen.

„Das Karolingische Westwerk und die Civitas Corvey“ sind seit Juni 2014 von der UNESCO als Weltkulturerbe offiziell anerkannt. Während der mittelalterliche Klosterkomplex – die Civitas – als Bodendenkmal erhalten ist, präsentiert sich das zwischen 873 und 885 entstandene Westwerk in wesentlichen Teilen im Baubestand des 9. Jahrhunderts. Künftig sollen die jahrhundertealten Mauern zeitgemäß, anschaulich und sinnlich erfahrbar zum Sprechen gebracht werden. Ziel sei es, das karolingische Westwerk des ehemaligen Benediktinerklosters an der Weser als „Gesicht“ des Weltkulturerbes Corvey zu profilieren. Dank des Engagements des Erzbistums Paderborn, das seine finanzielle Beteiligung im vergangenen Jahr zugesagt hat, konnten die Vorarbeiten dazu beginnen.

Unter dem Arbeitstitel „Von Engeln bewacht – In der Himmelsstadt“ sei neben der realen, eine digitale Erschließung des Ortes in Planung. Multimediale Installationen sollen mit Bildern, Sprache und Tönen einen lebendigen Eindruck der Bau- und Kunstgeschichte des Westwerks, der angrenzenden ehemaligen Abteikirche St. Stephanus und Vitus und der mittelalterlichen Klostergeschichte vermitteln. Digitale Mittel ermöglichten es, Teile der ursprünglichen Farbigkeit und der karolingischen Architektur zu rekonstruieren und auf Abruf – für Gruppen und Individualbesucher gleichermaßen – sichtbar zu machen.

Intelligente Glaswand als Tor zur Welt des Mittelalters

Im Erdgeschoss soll die ursprüngliche Wirkung der beeindruckenden, über vier Säulen gewölbten Halle wieder aufleben. Zurzeit verkümmere der Ort – ganz im Sinne barockzeitlicher Szenographie – zum dunklen Durchgangsraum. Blick und Schritte der Eintretenden würden zu der dahinterliegenden, hell ins Licht gesetzten Triumphal-Architektur der barocken Saalkirche gelenkt. Sie entstand erst 1667 bis 1671 in Nachfolge der zerstörten ehemaligen Klosterkirche.

Zwischen der unteren Halle des Westwerks und dem Kirchenschiff werde eine mit Schiebetüren versehene gläserne Trennwand eingebaut, die den Gläubigen die Möglichkeit biete, ungestört an Gottesdiensten teilzunehmen. Durch den Einsatz von Flüssigkristallglas entstehe hier eine „intelligente Wand“. Temporär werde sie als Projektionsfläche genutzt, so dass der Raum und seine bewegte Geschichte völlig neu erfahrbar würden. Dabei gehe das Expertenteam sehr behutsam und in stetiger Diskussion mit den beteiligten Fachgremien und Aufsichtsbehörden vor, denn die Denkmalverträglichkeit aller Maßnahmen habe höchste Priorität.

VR-Brillen erschließen karolingische Bilderwelten

Im Obergeschoss, dem sogenannten Johannischor, liegt das liturgische Zentrum des Westwerks. Es beeindruckt durch seine außergewöhnliche Architektur und die besondere künstlerische Ausgestaltung. Vorzeichnungen von lebensgroßen Stuckfiguren finden sich neben erhaltenen Teilen eines gemalten Figurenfrieses, auf dem eine Szene aus der griechischen Mythologie dargestellt ist: der Kampf des Odysseus gegen das Meeresungeheuer Skylla. Die Fragmente dieser einzigartigen Wandmalereien spiegeln die Ideenwelt der Karolinger wider, die so richtungsweisend war für die abendländische Kultur.

Aus konservatorischer Sicht ist der Johannischor hochsensibel, so dass gerade hier bei der Erschließung besondere Vorsicht geboten ist. Um den Besuchern dennoch die ursprüngliche, reiche Farbigkeit und die plastische Gestaltung vor Augen zu führen, ist der Einsatz von Virtual-Reality-Brillen geplant, die das Erleben des realen Ortes um eine sinnlich erfassbare, historische Dimension erweitern können.

Nachhaltigkeit und Zukunftsperspektiven

Inhalte und Drehbuch der virtuellen Inszenierungen im Ober- und Untergeschoss des Westwerks sind Bestandteil eines Gesamtkonzeptes, das vom Erzbischöflichen Diözesanmuseum Paderborn/Fachstelle Kunst erarbeitet wird. Es entstehe in enger Abstimmung mit der katholischen Kirchengemeinde St. Stephanus und Vitus und einem fachwissenschaftlichen Beirat. Auf diese Weise soll das Westwerk – ganz im Sinne der Vorgaben der UNESCO-Welterbe-Kommission – dauerhaft und nachhaltig entwickelt werden. Authentizität und Aura des Originals stünden dabei im Mittelpunkt.

Sichern, konservieren und erschließen

Um die Grundlagen für eine zielgruppengerechte, barrierefreie Erschließung zu schaffen, sei die umfassende Aufbereitung und Katalogisierung von Quellen und Dokumenten aus der Forschungsgeschichte notwendig. Restauratoren und Kunsthistoriker arbeiteten Hand in Hand mit Archäologen, Denkmalschützern, Architekten und Klimaspezialisten an der Sicherung sensibler Bauteile und einem zukunftsfähigen Konzept für die Besucherführung. Dabei seien alle in engem Kontakt mit dem Deutschen Nationalkomitee von ICOMOS (International Council on Monuments and Sites) und dem Landeskonservator für Westfalen-Lippe.

Im Auftrag des Erzbistums Paderborn zeichnet federführend Prof. Dr. Christoph Stiegemann, Paderborn, für diese interdisziplinäre Projektarbeit verantwortlich. Er stehe in engem Austausch mit der Kirchengemeinde St. Stephanus und Vitus, die Eigentümerin des Westwerks ist, sowie dem Herzoglichen Haus Ratibor und Corvey, welches die Maßnahmen zur Erschließung der Civitas verantworte.  

www.WelterbeWestwerkCorvey.de