Tilman Sobek (Mountainbike Tourismusforum): "Wir erleben hier gerade eine kleine Revolution."

am . Veröffentlicht in Natur- und Aktivtourismus

Portrait Tilman Sobek


„Zusammen WACHSEN“ ist das Thema des diesjährigen MTB-Tourismuskongresses, der diesmal in Oberstaufen stattfindet. Was ist dabei eigentlich wichtiger: Quantitatives Wachstum oder an den Herausforderungen zu wachsen?

TS: Unser diesjähriges Motto ist ja ganz stark an Familien orientiert. Wer Kinder hat oder selbst mal eins war, weiß: Es braucht beides. Wir sagen, noch steckt der Mountainbike-Tourismus in Deutschland in den Kinderschuhen. D. h. er sollte in jedem Fall quantitativ wachsen, um eine höhere Marktdurchdringung und Wertschöpfung zu erreichen. Das gelingt in Deutschland seit Jahren, wie die Rückmeldungen aus den Destinationen und auch die Marktforschung bestätigen.
Genauso sollte der Mountainbike-Tourismus qualitativ reifen. Da sind manche Herausforderungen sicher ein Katalysator. Gleichzeitig ist es nach meinem Erleben auch der Anspruch der in Deutschland handelnden Touristiker und Kommunalvertreter, dass wir uns hier qualitativ immer weiter verbessern. Da machen sie einen Riesenjob und wir als Mountainbike Tourismusforum Deutschland begleiten diesen Prozess, helfen z. B. beim Erfahrungsaustausch, bei der Wissensvermittlung, bei der Schaffung von Standards. Dafür ist der Mountainbike Tourismuskongress die Hauptveranstaltung in Deutschland.

Ihr betont immer wieder die noch ungenutzten Potenziale des Mountainbikens. Warum werden diese Potenziale eigentlich nicht genutzt? Wo sind die Hemmnisse?

TS: Ich denke, die Gründe sind vielfältig. Zum einen ist Mountainbiken immer noch eine relativ junge Bewegungsform. Hier darf man nicht außer Acht lassen, wer heute die Investitionsentscheidungen in Städten, Gemeinden und Destinationen trifft. Das sind Menschen, die in aller Regel nicht mit dem Mountainbike groß geworden sind. Sie kennen die sozialen und ökonomischen Vorteile einfach nicht.

Dann gibt es auch ein gewisses Unwissen darüber, wie zugänglich der Sport eigentlich ist und dass Mountainbiken ein absolutes Familien- und Alltagsthema ist. Nur die wenigstens Mountainbiker sind ja wirklich mit voller Schutzbekleidung unterwegs und machen spektakuläre Tricks, so wie es die Werbung suggeriert. Im Gegenteil: Fast jeder, der Rad fahren kann, kann auch Mountainbiken! Logisch, in Abstufungen, aber das ist tatsächlich der Fall. Vielleicht muss man Mountainbiken mehr als Spielen mit dem Rad verstehen, denn nur als Sport.

Der Begriff „Mountainbiken“ umfasst natürlich auch einfach viele Spielarten. Es ist ein bisschen wie mit dem Wintersport: Auch da gibt es alpine Abfahrer, die auf schwarzen Pisten unterwegs sind. Die Masse ist das nicht. Viele geben sich mit deutlich weniger rasanten Abfahrten zufrieden oder sind gleich auf der Loipe oder mit den Schneeschuhen unterwegs.

Letztlich ist es aber wie mit jeder Innovation im Tourismus: Das Verständnis reift. Schaut man nach British Columbia, Schottland, in die Schweiz, nach Frankreich oder Tschechien gibt es so viele überzeugende Angebote, die einen echten regionalen Wirtschaftsfaktor darstellen. Das sollten sich deutsche Destinationsvertreter einfach mal anschauen. Es ist eine Frage der Zeit. Die ersten erfolgreichen Vorreiter in Deutschland sehen wir ja schon, viele davon sind ja in Oberstaufen beim MTB-Kongress auch mit dabei.

Was würdet Ihr einer Destination raten, die das Mountainbiking noch nicht für sich entdeckt hat. Wie gelingt der Einstieg in den Markt? Welche Voraussetzungen braucht eine Destination?

TS: Ich formuliere es mal salopp: 15 Hektar Land, ein Höhenunterschied ab 150 Meter und 1,5 Mio. Euro Investition reichen noch, um mit einem Trail Center ganz vorn in Mountainbike-Deutschland mitzuspielen.

Das ist die Spitze. Ganz allgemein ist es aber wie beim Erschließen jeder neuen Zielgruppe: Verstehe ich den Markt und die Bedürfnisse der Kunden? Habe ich lokal begeisterte Menschen, die so ein neues Thema mit mir angehen wollen? Lasse ich mich von Fachleuten begleiten, die Mountainbike-Projekte schon mehrfach erfolgreich etabliert haben. Da würde ich genau auf die Referenzen und Erfahrung achten und eine enge Zusammenarbeit Wert legen. Hier trennt sich tatsächlich die Spreu vom Weizen. Es gilt bei der Umsetzung mit so vielen Anspruchsträgern zusammen zu arbeiten und so viele Hürden zu meistern – da habe ich lieber Profis an meiner Seite.

Die E-Bikes haben nun auch die MTB-Branche erreicht. Wie verändert sich dadurch das Mountainbiking?

TS: Kolossal! Wir erleben hier gerade eine kleine Revolution. Die Motorunterstützung gleicht Leistungsunterschiede zwischen den Fahrern aus. D. h. ich kann wie beim Wandern viel entspannter mit meinen Begleiter sprechen und die Natur genießen.
Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist, dass die E-MTB überhaupt den Zugang zum Mountainbike-Erlebnis für viele Menschen schaffen. Sie demokratisieren quasi den Zugang zur Natur, besonders zu den Bergen. Das gilt gerade für Menschen, die weniger sportlich oder womöglich körperlich benachteiligt sind. In der Rehabilitation und Prävention können E-Mountainbikes durch eine präzise Belastungssteuerung gezielt mit einem gesundheitsfördernden Naturerlebnis verbunden werden. Berge werden flacher, Anfahrten unbeschwerlicher. Dies eröffnet völlig neue Möglichkeiten in der Entwicklung von Erholungsinfrastruktur und der touristischen Produktentwicklung.

Nachhaltigkeit und auch Nutzungskonflikte sind für das Mountainbiking traditionell wichtige Themen. Wie lassen sich Probleme hier vermeiden?

TS: Wie überall im Leben durch sensible und zielgerichtete Kommunikation, die Schaffung von Standards, die Verbreitung von Wissen. Deutschland ist ja relativ dicht besiedelt, so dass wir die Nutzung des öffentlichen Raums als Gesellschaft viel intensiver aushandeln müssen als z. B. in den Weiten Nordkanadas.

Dabei geht es darum, ein Bewusstsein für sensible Themen zu schaffen und auf deren Wichtigkeit aufmerksam zu machen. Das betrifft im Übrigen alle Naturnutzer, nicht „nur“ die Mountainbiker. Hier engagieren wir uns als Mountainbike Tourismusforum bewusst ganz intensiv, kooperieren mit Umweltverbänden wie z. B. dem Deutschen Alpenverein und haben eigens dafür im letzten Jahr einen Kongress unter dem Titel „Unsere Natur“ veranstaltet.

Die Praxis zeigt: Dieser Ansatz funktioniert. Es gibt aus vielen Regionen überzeugende Beispiele, wie ein Miteinander bei der (Nah)erholung gelingt. Ich denke da z. B. an einige Biosphärenreservate oder Naturparks.
Letztlich verschwimmen die starren Grenzen: Niemand ist ja „nur“ Skifahrer oder Trailrunner. Die meisten sind multisportiv oder multioptional, wie man heute sagt: An einem Tag gehe ich bike, den anderen wandern und am dritten Tag besuche ich Museen in der Stadt. Zum Teil alles an einem Tag in Kombination. Hierdurch steigen bei der Begegnung in der Natur die Akzeptanz und das Verständnis für das Gegenüber und seine aktuell „andere“ Bewegungsform.

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Macht sich die vieldiskutierte Digitalisierung eigentlich auch im Mountainbiking verstärkt bemerkbar. Und wenn ja, wie?

TS: Ja, das tut sie; auf jeden Fall. Mountainbiker sind tendenziell sehr zukunftszugewandte und technikaffine Menschen. Sie sind stark an den neuesten Entwicklungen interessiert, so dass es digitale Angebote vergleichsweise leicht haben.

Das betrifft z. B. die Trainingssteuerung. Hier kommen immer neue Anwendungen auf den Markt – ob im Bereich der Home Trainer oder auf dem Smartphone für unterwegs. Auch die Orientierung im Gelände per GPS oder Smartphone ist so ein Thema.
Generell nimmt die Vernetzung unter den Mountainbikern in allen Bereichen zu. Der Konsum, der vor einigen Jahren noch über das gedruckte Magazin stattgefunden hat, funktioniert z. T. über digitale Medien. Auch E-MTBs werden künftig wesentlich mehr elektrische und z. T. digitale Komponenten haben – ganz ähnlich wie das Auto.

Im Tourismus bleibt die spannende Frage: Wo verläuft die Linie zwischen digital und analog? Der erste Kontaktpunkt mit einer Destination und den dortigen Angeboten für Biker ist heute fast immer digital und findet auf dem Smartphone, Tablet oder Notebook statt. Besonders Einsteiger haben hier einen hohen Informationsbedarf – z. B. zu bike-freundlichen Gastgebern, Verleihern oder Guidinganbietern und Fahrtechnikschulen. Aber wie geht es in der Customer Journey weiter? Wo braucht es noch analoge Angebote – Stichwort Karten –, wo reicht die digitale Information? Kein triviales und ein sehr dynamisches Feld.

Welche weiteren Trends dominieren derzeit den Markt?

TS: Das Thema Familie. Schaut man, wer Ende der 80er/Anfang der 90er Mountainbike gefahren ist – es waren z. T. wirklich verrückte Typen – ist klar, zu welcher Altersgruppe sie heute zählen. Die haben Kinder, deren Mama oder Papa das große Vorbild sind und ständig von ihrer Passion Mountainbiken sprechen. Da kommen aktuell richtig viele kleine Mountainbiker nach. Das wird auch immer mehr zum Thema für die Naherholung in den Großstädten und ihrer Umgebung. Pump Tracks sind ein Thema, das Kinder kaum loslässt. Auch von den Herstellern kommen immer mehr Angebote für Kinder. Das zeigt, wie wichtig dieses Segment ist.

Warum sollte ich in Oberstaufen unbedingt dabei sein?

TS: Weil wir hier die Zukunft für den Mountainbike-Tourismus besprechen. Gerade in diesem Jahr geht es ja neben dem Thema Familie auch um die Vision für 2030. Wo wollen wir gemeinsam hin?
Wenn ich mich also als Destination, Kommune, Landkreis, Naturpark, Leistungsträger, Hersteller, Presse oder Wissenschaft mit dem Thema Mountainbike beschäftige, gibt es keine andere Veranstaltung, bei der ich mich so umfassend und tiefgreifend über Erfolgsfaktoren und aktuelle Entwicklung im Mountainbike-Tourismus informieren kann.

Uns sind fundierte Inputs ganz wichtig. Hier arbeiten wir im Vorfeld ganz intensiv mit den Referenten, damit alle Präsentationen so praxisnah wie möglich sind und Strategien und Werkzeuge für die ganzjährige Arbeit in der Region bieten.
Gleichzeitig zählt die Vernetzung: Der intensive Austausch mit der Branche bietet allen Teilnehmern die Möglichkeit, Teil eines Netzwerkes zu werden, dessen Wissen und Verbindungen die Entwicklung der nächsten Jahre und Jahrzehnte prägen wird. Als junge Destination in Sachen Mountainbike-Tourismus ist Oberstaufen der perfekte Ort um sich mit den Zukunftsthemen Bike-Angebote für Familien und E-Mountainbiken auseinanderzusetzen. Erstmals werden die finalen Ergebnisse der Grundlagenerhebung MTB-Monitor 2018 vorliegen und verfügbar sein. Zudem stellen wir zwei Leitfäden vor, die Regionen den Einstieg in den Mountainbike-Tourismus erleichtert beziehungsweise Hilfestellung zur Implementierung von Monitoringsystemen leistet.

Aufmacherbild MTD2018 finalVielen Dank für das Interview!
Alle Informationen zum vierten deutschen Mountainbike-Kongress vom 5.–7. Juni finden Sie unter:

www.mountainbike-tourismusforum.de/2018


Die Fragen stellte Matthias Burzinski.

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